Projekt „Oral History – Zeitzeugenbefragung als Quelle“
des Geschichtskurses (12 ge 2) von Herrn v. Mark
Was ist Oral History?
Oral History stellt in den Geschichtswissenschaften eine Methode zur
Produktion und Bearbeitung mündlicher Quellen dar. Sie kann Teil einer
methodisch umfassenderen historischen Forschung sein, wird aber ebenso
als eigene Forschungsrichtung mit spezifischen Inhalten verstanden. Der
Bergriff kam in den 1930er-Jahren auf und wird seit den 1960er-Jahren
auch im deutschen Sprachgebrauch verwendet.
Der zentrale Gegenstand der Oral History ist die subjektive Erfahrung
einzelner Menschen, die mit Hilfe von Erinnerungsinterviews abgefragt
wird, die aber auch in anderen autobiographischen Zeugnissen (z.B.
Tagebücher) niedergelegt sein kann. Aufgrund ihrer methodischen
Vielfalt wird die Oral History mitunter als „Erfahrungsgeschichte“ oder
„Erfahrungswissenschaft“ bezeichnet. Ihr geht es um die Untersuchung
von Verarbeitungs-formen historischer Erlebnisse und die Veränderungen
der Selbstdeutungen von Menschen in der Geschichte.
Das Bewusstsein von der Wandlungsfähigkeit der menschlichen
Selbstkonstruktion verweist auf die Besonderheit der Oral History im
Kontext der Basisoperationen der Historischen Methode (Heuristik,
Kritik, Interpretation).
Ebenso wie andere Quellen gehört auch das Erinnerungsinterview dem
Zeitpunkt sowie den Bedingungen seiner Entstehung und nicht dem des
berichteten Ereignisses an, ist für die Historikerin/den Historiker
somit ein äußerst junges und zudem unter eigener Beteiligung
entstandenes Dokument der Gegenwart. Es ist daher zugleich ein
Instrument der Erinnerungskultur.
Mit Erinnerungskultur bezeichnet man den Versuch, Teile der Vergangenheit im Bewusst-sein zu halten und gezielt zu vergegenwärtigen. Im Zentrum steht dabei in erster Linie die subjektive Wahrnehmung historischer Zusammenhänge aus einer aktuellen Perspektive, weniger die Darstellung historisch-objektiven Wissens. Es kann zwischen einer privaten und einer öffentlichen Erinnerungskultur sowie deren jeweiligen regelmäßigen und ereignis-basierten Elementen unterschieden werden.
Durch das erfahrungsgeschichtliche Erkenntnisinteresse können im retrospektiven Interview neben der aktuellen Selbstdeutung eines Zeitzeugen auch Wertewandlungen sowie Stereotypen in seinen Deutungsmustern aufgezeigt werden, wenn sich nämlich die gegen-wärtigen Verarbeitungsmöglichkeiten zu den individuellen Erfahrungen und erinnerten Handlungsräumen nicht deckungsgleich verhalten.
Dazu das Beispiel eines 1924 geborenen Zeitzeugen:
Während der Jugend durch den NS-Staat geprägt, denkt und beschreibt der
Mann das „Dritte Reich“ – abgekoppelt von seinem Unterdrückungs- und
Vernichtungspotential – gleichsam als einen sozialen und
wirtschaftlichen Wohlfahrtsstaat und versucht seine Deutung u.a. mit
dem Hinweis auf das Schicksal seines langzeitarbeitslosen Vaters zu
belegen. Er rühmt reflexartig eine über Jahrzehnte kolportierte, doch
vermutlich nie reflektierte Vorstellung von der vermeintlich „mutigen“
Beschäftigungspolitik der Nationalsozialisten, die seinen seit 1929
erwerbslosen Vater wieder in ein festes Arbeitsverhältnis bringen
konnte – allerdings erst im Jahre 1938, also nach mehr als fünf
weiteren Jahren der Arbeitslosigkeit unter der (nun auch längst nicht
mehr) neuen, nationalsozialistischen Regierung!
Warum Oral History in der Schule?
Das Zeitzeugeninterview hat den wesentlichen Vorteil, dass die Schüler
eigene Fragen an eine „mündliche Quelle“ stellen können und sofort
Antworten erhalten, bzw. noch einmal nachfragen können.
Somit sind Schüler nicht nur Rezipient von Quellenmaterial, sondern
werden aktiv in den Produktionsprozess einer „Quelle“ einbezogen und
wirken an diesem mit.
Außerdem wird durch Zeitzeugeninterviews (z.B. zur Thematik des
Nationalsozialismus) die Begegnung unterschiedlicher Generationen
ermöglicht. Die Schüler können so lernen, Verständnis zwischen den
Generationen aufzubauen und ggf. Vorurteile abzubauen.
Foto: 1 Herr v. Mark (stehend) und Pflegeleiter Herr Blank (links sitzend) eröffnen die Gesprächsrunde
Foto: 2 Die "mündlichen Quellen" erzählen ihre Erlebnisse.
Foto: 3 Interessierte und kritische Zuhörer!
Foto: 4 Spannend!